2. Dualität als fundamentale Bedingung des Verstandes

In der Art und Weise, wie wir derzeit unseren Verstand verwenden, landen wir bei möglichen Antworten auf metaphysische Fragen, die z. B. Unendlichkeit oder Absolutes betreffen, immer wieder in Paradoxien und Widersprüchen.

Es gibt bestimmte Bedingungen, an die unser Verstand mit seinem Denken und seiner Logik gebunden ist. Was darüber hinaus liegt, hebelt den Verstand sozusagen aus. Dies ist aber nicht weiter tragisch. Über den Verstand hinaus besitzt der Mensch die VERNUNFT, die in der Lage ist, die Existenz von Sachverhalten als subjektive Überzeugung anzuerkennen, für die der Verstand keinerlei objektive und logische Belege vorbringen kann.

Wir verstehen Unendlichkeit insofern, als wir etwas als unendlich fortschreitend vorstellen. So z. B. die folge der natürlichen Zahlen.

Wie aber sollen wir die Unendlichkeit des Raumes erfassen?

Dies ist deshalb nicht möglich, weil unser Verstand, um überhaupt etwas verstehen zu können auf Unterscheiden angewiesen ist. Versuche Dir doch einmal vorzustellen, Du wärst nicht in der Lage zu Unterscheiden. Ohne unterscheiden zu können wäre wohl alles ein leeres Nichts für uns. Damit wir überhaupt auch nur irgendetwas verstehen können müssen wir mit dem Verstand Begriffe von wahrnehmbaren Dingen bilden, die wir von anderen Dingen unterscheiden. Ohne Unterscheiden kein verstehen.

Nun ist es aber notwendig, um überhaupt unterscheiden zu können, dass mindestens zwei Dinge gegeben sind. Denn Unterscheiden ist erst ab mindestens zwei gegebenen Dingen möglich. Das bedeutet, dass der Verstand prinzipiell auf eine Dualität angewiesen ist um irgendwas verstehen zu können, um überhaupt tätig sein zu können.

Stellen wir uns nun den leeren unendlichen Raum vor, dann gibt es nichts weiteres, wovon wir diesen unterscheiden können. Ein aller Gegenstände entleerter unendlicher Raum kann zudem nur ein einziger sein. Denn wäre dort ein anderer Raum, dann gäbe es eine Grenze, an der jener aufhört und der andere beginnt. Dann aber wäre es kein unendlicher Raum mehr, weil eine Grenze existiert.

Da nun ein unendlicher und absolut leerer Raum auch nur etwas absolut einziges sein kann, liefert er unserem Verstande keine Möglichkeit ihn von irgendetwas unterscheiden zu können, um ihn verstehen zu können.

Man könnte dies mit dem Merksatz belegen: alles ist von seinem Gegenteil abhängig. Ohne oben kein unten, ohne gut kein böse usw.

12 Kommentare Gib deinen ab

  1. wolkensand sagt:

    Ja, wir können die Unendlichkeit nicht verstehen – heißt das auch, dass wir sie nicht beweisen können?

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  2. Titus Pauly sagt:

    Zur Art der Zeitabfolge (Deine Frage zu Kapitel 2) wird noch detailliert Stellung bezogen. Deine Fragen bzgl. der Unendlichkeit beantworte ich zusammengefasst in einen einzigen Kommentar.

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  3. Titus Pauly sagt:

    Antwort steht unter Kap. 3

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  4. Prem Kasina sagt:

    Vergleichsweise war das jetzt leicht verdauliche Kost…

    verstanden: der Verstand funktioniert nur in der Dualität… interessant in diesem Zusammenhang der Satz:
    …“Ohne unterscheiden zu können wäre wohl alles ein leeres Nichts für uns“…
    🙂 da haben wir es dann doch, das leere Nichts oder den unendlichen Raum…
    Behauptung: ohne Verstand fangen wir an zu verstehen…

    die Rolle der Vernunft habe ich noch nicht so ganz verstanden:

    …“ Über den Verstand hinaus besitzt der Mensch die VERNUNFT, die in der Lage ist, die Existenz von Sachverhalten als subjektive Überzeugung anzuerkennen, für die der Verstand keinerlei objektive und logische Belege vorbringen kann“…

    was ist eine subjektive Überzeugung?… Vermutung? Glaube? Moral? Wertesystem?
    an anderer Stelle bezeichnest du die Vorgehensweise der Vernunft als dialektisch… These / Antithese / Synthese… Für mich sind das Labyrinthe, die der Verstand zum Spazierengehen wählt…

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  5. Titus Pauly sagt:

    …wäre wohl alles ein leeres Nichts FÜR UNS(ere noch unzulängliche Vorstellung)…
    Damit sage ich ja nicht, dass dem auch tatsächlich so sei.

    …Behauptung: ohne Verstand fangen wir an zu verstehen…
    Stimme ich völlig zu. Um so weit aber überhaupt erst zu kommen bedarf es zuvor des Verstandes und seiner logisch gefolgerten Schlüsse

    …was ist eine subjektive Überzeugung?… Vermutung? Glaube?…
    Genau dies. Was der Verstand logisch erschließen kann, das ist nicht immer auch empirisch nachweisbar. Es ist dann Sache der Vernunft den Sachverhalt zu bewerten und eine Position dazu einzunehmen.
    Objektiv gültige Überzeugung ist Wissen. Nur Subjektiv gültige Überzeugung ist Glaube oder Vermutung oder wie man es sonst nennen möchte.
    Und die Vernunft wertet anhand eines Wertesystems (moralisch, pragmatisch, hedonistisch…), das sich in Abhängigkeit der Reife den Vernunft verändert.
    Aber zu dem Thema kommen wir noch später im Blog. Auch die Dialektik wird noch erklärt werden.

    Wenn ich zeit finde, send ich dir heut noch ein beispiel für verstandesbankrott und vernunfttätigkeit

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  6. Prem Kasina sagt:

    Frage: versteht ein Baby? lernen ohne Begriffe… vielleicht thematisierst du das ja noch zu einem späteren Zeitpunkt…

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  7. Sehr gut erklärt. Allerdings bleiben wir oft auch gefangen, in binären Denkschemata. Das in Bezug auf politisches Denken ein Problem, das ich oft sehe….

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  8. Phil Eidos sagt:

    Sehr spannend mit der Dualität als Bedingung der Möglichkeit von Verstand. Ich bin da gerade neugierig drauf geworden, weil wir vergangene Woche bei unserem wöchentlichen Philosophiegesprächskreis ebenso zu diesem Gedanken gekommen sind. Die Dualität scheint auch der Ursprung jeder Sprache zu sein, da die Begriffsbildung ja davon abhängt… Dennoch muss der Gedanke noch etwas reifen bei mir, ich vermag es noch nicht so recht in das Gesamtgefüge einer Erkenntnistheorie einzuordnen. Hat Kant eigentlich an die Dualität gedacht?

    Spannend wird natürlich, ob wir die Möglichkeit haben, die Verstandesdualität zu überwinden. Das ist ja das, was viele spirituelle Philosophien als ihr Ziel angeben: Von der Dualität zur Einheit. Aber was ist man dann noch?

    Bei Zeiten werde ich mich mal in Deinen gesamten Ansatz hineinlesen, bin sehr gespannt, wie Du das anzugehen versuchst… die Überschriften betrachtend klingt es erstmal sehr Kantianisch 🙂

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  9. Titus Pauly sagt:

    Ja – völlig korrekt! Ich geh von Kant aus – aber auch weiter, weil ich die Dialektik als Erkenntnismethode der Vernunft betrachte, und nicht nur als „Logik des Scheins“.
    Dualität als Grundlage der Begriffsbildung? Ja sehe ich genau so!
    Auch Mathematik ist erst ab Dualsystem möglich.
    Die absolute Einheit? Kann nur von der Vernunft als Möglichkeit angenommen werden. Vernunft transzendiert Verstand.

    Im Blog bin ich noch nicht so weit. Hab keinen PC. Mach alles mit iPhone 4. Aber im Blog von
    Wolkensand.wordpress.com
    habe ich sehr umfangreich bezüglich Deiner Fragen bereits kommentiert.
    In einem meiner Blog-Beiträge sind diesbezüglich drei Links zu den kommentierten Beiträgen auf wolkensand angegeben. Die liefer ich Dir gleich noch nach.

    Und nochmal zu Kant: Die zweifache Perspektive auf einen Gegenstand als extramentales reales aber unerkennbares Ding an sich und intramentales imaginäres Ding für uns (Erscheinung), halte ich für unhintergehbar. Dazu gibts auch schon einen Blog-Beitrag.

    Habt ihr euch auch schon mal mit der Frage des Universalienproblems beschäftigt?

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  10. Phil Eidos sagt:

    Nur mit Smartphone, das klingt ungemütlich…
    Kant hat in der Tat eine beeindruckende Anziehungskraft. Wenn man einmal anfängt, ihn zu lesen, will man gar nicht mehr aufhören: Er vereint den Wunsch nach Metaphysik mit einer kritischen Zurückhaltung, was unreflektierte Spekulationen angeht. Dennoch stehe ich noch ganz am Anfang, was das Verständnis Kants angeht: kenne seine Philosophie nur in groben Grundzügen.

    Mit dem „Universalienproblem“ als historische Diskussion haben wir uns weniger beschäftigt. Die Frage, ob es irgendein bleibendes „Sein“ – irgendeine übergeordnete Wahrheit – gibt, das über die Konstruktion des menschlichen Verstandes hinausgeht, kommt dagegen ständig auf. Ich glaube das ist eine Frage, die am Beginn der Philosophie stand (Platons suche nach der „Idee“) und immer ihr Zentrum bleiben wird. Unser Jahrhundert tendiert ja zum sehr stark zum Konstruktivismus und will alles Sein ins Subjektive verlagern. Meine Intuition wehrt sich etwas gegen diesen Zeitgeist und ich suche nach Hinweisen auf etwas Bleibendes, ganz gegen den Heraklit mit seinem: „Alles fließt“ 🙂 Die „Vernunft“ als herausragendes Erkenntnisvermögen spielt da für mich auch eine große Rolle; diese wird ja heute ebenfalls versucht auf den „Verstand“ zu reduzieren.

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  11. Titus Pauly sagt:

    Sehe ich alles ziemlich genau so.

    Was Wahrheit betrifft halte ich eine absolute Wahrheit für eine denknotwendige Projektion auf das Seiende (eine Art Zuweisung von uns). Das Problem ist, dass wir ihren Inhalt nicht kennen. Was wir erkennen sind lediglich relative Wahrheiten, die versuchen sich der absoluten weitestgehend zu nähern.
    Ich unterscheide zudem zwischen einem berechtigten und einem notwendigen Kriterium der Wahrheit, sowie einer privaten und einer philosophischen Definition derselben. Kohärenz- und Korrespondenztheorie sehe ich daher als komplementär.
    Empirie ist mir notwendiges Kriterium der relativen Wahrheit, die selbst ein berechtigtes Kriterium der absoluten Wahrheit ist.
    Die Zusammenhänge sind natürlich noch etwas verwickelter als ich sie hier darstellen kann. Eine wichtige Rolle spielt für mich auch die Redundanztheorie.

    Lieben Gruß
    Titus Pauly

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  12. Titus Pauly sagt:

    Alles, was Du hier geschrieben hast, hätte auch von mir sein können. Die einzige Ausnahme ist, dass ich kein Problem damit habe, das gesamte Sein als intramentale Erscheinungen in wahrnehmenden Subjekten zu betrachten. Mit Kant gehe ich jedoch davon aus, das diese uns nur deshalb erscheinen können, weil sie „Eigenschaften für uns“ von „realen Dingen an sich“ an sich sind, von denen wir jedoch unabhängig von unseren Erkenntnismitteln nichts weiteres als deren Sein aussagen können.
    Das man derzeit anscheinend die Tendenz hat, Vernunft auf Verstand zu reduzieren sehe ich ebenso, kann aber meiner Meinung nach in einen Paradigma der Verwissenschaftlichung auch nicht ausbleiben. Vernunft betrachte ich als Gegenstand der Metaphysik. Was Kant als theoretische und spekulative Vernunft bezeichnet, fällt für mich sämtlich unter Verstand.
    Der Unterschied von Verstand und Vernunft besteht für mich darin, dass Verstand denkt, Vernunft aber wertet. Dabei kann das Werten nach ethischen, aber auch nach pragmatischen oder anderen Gesichtspunkten erfolgen.

    Während ich die Logik (Aussagen- und Prädikatenlogik) als Methode des Verstandes vorstelle, betrachte ich die Dialektik als Methode der Vernunft. In verschiedenen Beiträgen und Kommentaren habe ich dazu schon einiges geschrieben.
    Das Ganze wird jedoch auch noch in systematischem Aufbau in meinem Blog erscheinen – auch wenn es in der Tat sehr ungemütlich ist, dies alles derzeit nur per Smartphone machen zu können.

    Lieben Gruß
    Titus Pauly

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